Neben Antibiotika beeinträchtigen auch viele andere Arzneistoffe das Wachstum der Bakterien im Darm. Forscher des Europäischen Molekularbiologischen Laboratoriums (EMBL) in Heidelberg, die das Phänomen im Fachjournal «Nature» jetzt umfassend beschreiben, waren selbst überrascht vom Ausmaß der antimikrobiellen Wirkung der nicht antibiotischen Arzneistoffe. Dass unter anderem Antipsychotika, Protonenpumpenhemmer und Calciumantagonisten bestimmte Bakterien im Darm töten, liefert eine mögliche Erklärung für gastrointestinale Nebenwirkungen der Arzneistoffe. Auch könnte dieser Mechanismus zum wachsenden Problem der Antibiotikaresistenzen beitragen, denn die Resistenzmechanismen sind teilweise identisch, so die Forscher.
Das Mikrobiom und sein Einfluss auf die menschliche Gesundheit werden seit einiger Zeit intensiv erforscht, auch im Zusammenhang mit der Pharmakotherapie. So wurde unter anderem beim oralen Antidiabetikum Metformin eine Veränderung der Zusammensetzung der Darm-Mikrobiota als Erklärung für die bekannten gastrointestinalen Nebenwirkungen vorgeschlagen. Die Autoren um Dr. Lisa Maier, Dr. Mihaela Pruteanu und Dr. Michael Kuhn wollten den Effekt nun umfassend katalogisieren und screenten dazu knapp 1200 Arzneistoffe aus verschiedenen Klassen hinsichtlich ihrer wachstumshemmenden Wirkung auf 40 repräsentative Darmbakterienstämme in vitro.
Es stellte sich heraus, dass fast ein Viertel der Arzneistoffe (24 Prozent), die an menschlichen Zielstrukturen angreifen, das Wachstum von mindestens einem Bakterienstamm hemmte. Die antibakterielle Wirkung war dabei nicht an bestimmte chemische Strukturen geknüpft, im Gegenteil: Die chemisch heterogenen Antipsychotika waren besonders häufig betroffen. Die Forscher halten dieses Teilergebnis für bemerkenswert, denn die Zielstrukturen der Antipsychotika, also zentrale Dopamin- und Serotonin-Rezeptoren, kommen auf der Oberfläche von Bakterien gar nicht vor. Dennoch mutmaßen die Forscher, dass die Beeinflussung der Darmmikrobiota womöglich gar keine Nebenwirkung der Medikamente ist, sondern stattdessen Teil der Hauptwirkung.
Dies könnte für viele weitere Arzneistoffe zutreffen, so Arbeitsgruppenleiter Dr. Peer Bork in einer Pressemitteilung. Die Häufigkeit, mit der Nicht-Antibiotika das Mikrobiom verändern, sei überraschend, zumal sie in der Studie vermutlich sogar unterschätzt worden sei. In weiteren Studien müsse untersucht werden, wie diese Wirkung im Einzelnen zustande kommt, ob, beziehungsweise wie, sie die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen fördert und ob man sich die gezielte Hemmung bestimmter Darmbakterien durch Arzneistoffe unter Umständen therapeutisch zunutze machen kann, schreiben die Autoren.
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