Durham/North Carolina – US-Forscher haben auf enteroendokrinen Zellen der Darmschleimhaut Synapsen entdeckt, die über den Nervus vagus eine direkte Verbindung zum Gehirn herstellen. Die in Science (2018; doi: 10.1126/science.aat5236) vorgestellten Erkenntnisse machen den Darm gewissermaßen zum größten Sinnesorgan des menschlichen Körpers.
Die enteroendokrinen Zellen, die über die Schleimhaut des Magen-Darm-Trakts verteilt sind, galten bisher als reine Hormonproduzenten. Durch die Freisetzung von Inkretinen, Cholecystokinin, dem vasoaktiven intestinalen Peptid oder Enteroglucagon koordinieren sie die Verdauungstätigkeit und bereiten den Stoffwechsel auf die Zufuhr von Nährstoffen vor. Auch eine Verbindung zu den Appetitzentren des Gehirns wird seit Längerem diskutiert.
Hormonelle Wirkungen treten in der Regel mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung ein. Die Auswirkungen auf Neuronen des Hypothalamus, die die Nahrungsaufnahme kontrollieren, erfolgt dagegen innerhalb von Sekunden nach Eintritt der Nährstoffe in das Duodenum. Wie dies möglich ist, war bisher nicht bekannt.
Vor einigen Jahren machte Diego Bohórquez von der Duke-Universität in Durham/North Carolina, bei elektronenmikroskopischen Untersuchungen eine erstaunliche Entdeckung: Einige der enteroendokrinen Zellen bildeten fußförmige Verbindungen mit benachbarten Neuronen aus. Schon damals vermutete der Neurowissenschaftler, dass es sich um Synapsen handelt.
Jetzt können die Forscher dies mithilfe von Tollwutviren beweisen. Rabiesviren infizieren nach einer Infektion die Nervenzellen. Sie sind in der Lage, Synapsen zu überqueren, und erreichen dann in einem retrograden axonalen Transport langsam das Gehirn (weshalb nach einem Biss durch ein infiziertes Tier noch Zeit für eine Impfung bleibt).
Das Team um Bohórquez hat Rabiesviren mit einem Fluoreszenzfarbstoff markiert und sie dann Mäusen ins Futter gemischt. Die Experimente ergaben, dass die Viren über die enteroendokrinen Zellen die im Darm zahlreichen Fasern des Nervus vagus erreichten und von dort ins Gehirn transportiert wurden. Die Übertragung von den enteroendokrinen Zellen auf die Vagusfasern soll dabei innerhalb von weniger als 100 Millisekunden erfolgt sein. Von den Nervenfasern gelangten die Viren (und damit physiologischerweise auch die Nervenimpulse) ohne weiteren Stopp in den Hirnstamm. Von dort gibt es vermutlich direkte Verbindungen zu den Regulatoren von Appetit und Stoffwechsel.
Durch Experimente an Organoiden – aus Stammzellen gezüchteten Darmmodellen – konnten die Forscher auch den Neurotransmitter ermitteln, der für die Weiterleitung der Nervensignale zuständig ist. Es handelt sich um Glutamat, dem nach heutiger Kenntnis ältesten Neurotransmitter der Evolution. Glutamat wird auch in der Netzhaut, im Riechepithel, im Innenohr und in den Tastrezeptoren der Haut als Überträger auf die erste Nervenzelle verwendet.
Für Bohórquez steht deshalb fest, dass (zumindest einige) enteroendokrine Zellen zu den Sinneszellen gehören und der Darm damit das größte Sinnesorgan des menschlichen Körpers ist.
Die Entdeckung könnte der Forschung neue Ansatzpunkte zur Behandlung von Appetitstörungen und Fettleibigkeit liefern. So könnten Wirkstoffe, die selektiv die Übertragung an den Synapsen im Darm stimulieren, möglicherweise eine vorzeitige Sättigung auslösen. Bisher ist es allerdings nicht gelungen, diese Rezeptoren zu identifizieren. Ein anderer Ansatz könnte ein Vagusstimulator sein, der bereits experimentell zur Behandlung von Epilepsie und Depressionen eingesetzt wird. Dabei ist aufgefallen, dass die Vagusstimulation Einfluss auf den Appetit hat. Die jetzt von Bohórquez vorgestellten Befunde könnten erklären, warum dies so ist. © rme/aerzteblatt.de