Bakterielle Diversität im Darm: auffallend reduziert
Bei Patienten mit polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS) wurde erst kürzlich entdeckt, dass die bakterielle Diversität im Darm auffallend reduziert ist und kaum noch ausreichend „gute“ Bakterienstämme vorhanden sind. In einer aktuell laufenden Studie mit einem Multispezies-Probiotikum, kombiniert mit Vitamin D, wird nun am Patienten analysiert, wie man das Mikrobiom gezielt positiv beeinflussen kann.
Weltweit haben ca. 20-30 Prozent der Frauen eine genetische Prädisposition für PCOS und sogar Männer sind davon betroffen. Die Symptome sind vielfältig. Manche Betroffenen leiden unter einem „Damenbart“ oder einer allgemein stärkeren Behaarung am Körper mit gleichzeitigem Haarausfall am Kopf, wiederum andere entwickeln Zyklusstörungen oder kleine Zysten in den Eierstöcken. Das Syndrom wird in erster Linie durch die sogenannten „Rotterdam-Kriterien“ definiert, die mindestens 2 von diesen 3 Komponenten zur Bedingung für eine Diagnose machen.
Der männliche Phänotyp zeigt dabei oft schon im frühen Alter eine ausgeprägte Neigung zu Haarverlust und Glatzenbildung sowie fettiger Haut und Akne.
In einer internationalen genetischen Studie an einer halben Million Personen wurde gezeigt, dass es etwa 30 Gene sind, die dieses Syndrom mitbedingen, darunter auch wichtige Player-Gene des Insulinstoffwechsels. Man nimmt an, dass ein erhöhtes Insulin und eine Insulinresistenz, so wie es bei PCOS auftritt, früher evolutionär wichtig war, um schnell möglichst große Mengen an Energie speichern zu können und auf diese Weise Hungersnöte besser zu überstehen. Ebenso hat der unregelmäßige Zyklus von PCOS-Frauen vermutlich rasch aufeinanderfolgende Schwangerschaften verhindert, und dadurch tatsächlich Überlebensvorteile gebracht.
Somit ist PCOS per se keine Krankheit, sondern eine evolutionär bedingte Naturvariante, die in vorindustriellen Zeiten durchaus adaptiv war.
Welche Therapieformen gibt es für PCOS?
Die gängigste Therapieform stellt heute die „Pille“ dar. Die Gabe von Metformin (off-label), einem Medikament gegen Diabetes, ist eine nicht-hormonelle PCOS-Therapievariante mit gewissen Vorteilen, da auch junge und ältere Frauen sowie Kinder damit behandelt werden können. Gleichzeitig wirkt es auch senkend auf den Insulinspiegel und die Wirkungen des Insulin-like Growth Factor 1 (IGF-1). Allerdings sind die Nebenwirkungen hoch und im Gegensatz zur „Pille“ verändert Metformin auch die Zusammensetzung des Mikrobioms der PatientInnen.
Als völlig neue und innovative Behandlungs-Alternative bei PCOS setzt Prof. Obermayer-Pietsch erstmals auf die Gabe von Probiotika in Kombination mit einer kohlenhydratreduzierten Ernährung. Vorläufige Daten der PCOS-Studie mit dem Multispezies-Probiotikum, kombiniert mit Vitamin D, zeigten bereits, dass das indikationsspezifische Probiotikum gut vertragen wird, da es gleichzeitig zum Aufbau einer gesunden Darmflora beiträgt.
Darüber hinaus haben sich Probiotika besonders bei Menschen mit einer Metformin-Unverträglichkeit bewährt. Und letztlich zeigte sich im speziellen bereits ein nachweislich positiver Effekt auf die Fortpflanzung – erkenntlich daran, dass im Rahmen der Studie bereits 6 Wunschkinder geboren wurden.
Aktuelle Studien: Zusammenhang zwischen Mikrobiom & Hormonsystem
Zusätzlich gibt es eine ganze Reihe von neuen Studien, die die Zusammenhänge von Mikrobiom und Hormonsystem gleich auf mehreren Ebenen erforschen. Diese Studien zeigen auch die Bedeutung des Mikrobioms für die Fortpflanzung und den Energiestoffwechsel.
Bisher dachte man, Knochen, Muskeln, Drüsen, Leber und Darm stehen funktionell für sich allein. Aber der Körper ist ein System, in dem sich alle Organe gegenseitig beeinflussen. So brauchen wir beispielsweise das vom Mikrobiom des Darms produzierte Butyrat (Buttersäure), um damit das Parathormon, welches den Knochen aufbaut, voll funktionsfähig zu machen.
Zum Thema Probiotika berichtete Prof. Obermayer-Pietsch abschließend noch von einer klinischen Studie mit einem Multispezies-Probiotikum an weiblichen Transgender-Personen, in der gezeigt werden konnte, dass dieses oral eingenommene Probiotikum die Darmpassage überlebt, sich im Verdauungstrakt ansiedelt und von dort aus erfolgreich die Schleimhaut der Vagina besiedelt. Anhand weiterer Mikrobiom-Daten konnte u.a. auch gezeigt werden, dass das Mikrobiom essentiellen Einfluss auf die Psyche nimmt. Entsprechend wird in Graz an der Entwicklung sogenannter „Psychobiotika“ geforscht, worunter Probiotika verstanden werden, die einen klaren Benefit für die positive Beeinflussung der Psyche des Menschen bedeuten.
Zuletzt betonte Prof. Obermayer-Pietsch, dass es bei der Beurteilung der Beziehungen zwischen Hormonen und Stoffwechsel besonders wichtig sei, möglichst viele Einflussfaktoren miteinzubeziehen, so etwa die Art der Ernährung, ob eher ballaststoffreich, vegetarisch oder fleischlastig, die davon abhängige Zusammensetzung der Darmflora sowie andere Umweltbedingungen wie Arbeitsstress und psychische Überlastung. Beim Einsatz probiotischer Interventionen besteht dabei das oberste Ziel darin zu erforschen, wie sich die verschiedenen Bakterienstämme auf die Studienteilnehmer auswirken, um letztlich jene „personalisierte Medizin“ umsetzen zu können, in die das gesamte neue Wissen über die vielfältigen Beziehungen von Menschen und Mikrobe einfließt.
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